In Erinnerung an Werner Lensing

Nachruf von Dr. Thomas Wenning zum Tode des langjährigen verdienten Coesfelders Werner Lensing

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Foto: Archiv Allgemeine Zeitung (08.05.2003) zum Besuch des damaligen amerikanischen Botschafter Dan Coats in Coesfeld; (vlnr.) Bürgermeister Heinz Öhmann, Botschafter Dan Coats, Werner Lensing (MdB), Marsha Ann Coats

Nachruf zum Tode von Werner Lensing,

verfasst von Dr. Thomas Wenning, erschienen in der Allgemeinen Zeitung am 23.03.2020

Eine der prägendsten Akteure der jüngeren Coesfelder Stadtgeschichte ist tot: Werner Lensing, langjähriges Mitglied des Deutschen Bundestags und Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande, starb am vergangenen Samstag im Alter von 81 Jahren.

Schon sehr früh brachte sich der am 30. 10. 1938 geborene Bocholter Werner Lensing in das öffentliche und politische Geschehen der Stadt ein: nach seinem Umzug nach Coesfeld saß er von 1969 bis 1979 im Coesfelder Rat, hier bereits ab 1970 als Fraktionsvorsitzender der CDU. Die Älteren unter uns werden sich noch gut an die stürmischen 68 erinnern, neben den tiefgründigen Grundsatzdebatten um die moralische Aufarbeitung des 2. Weltkriegs gab es  bereits erste Überlegungen, den Verkehr aus den immer voller werdenden Städten herauszubekommen, die heute nicht mehr wegzudenkende sog. Wahrkamptrasse wurde gegen massiven Widerstand durchgesetzt, Tiefgarage und Neugestaltung des Marktplatzes standen auf der Agenda – Werner Lensing hat als vorausschauender Politiker in dieser denkwürdigen Zeit viele für Coesfeld richtungsweisenden Veränderungen entscheidend mitgestaltet und in der politischen Auseinandersetzung durchgefochten. Als Ratsmitglied und natürlich auch in seiner Eigenschaft als Schulleiter war er zudem maßgeblich an der Auslagerung des Gymnasiums Nepomucenum vom Stadtzentrum und der Neugründung des Schulzentrums an der Holtwicker Straße beteiligt.

Nach und nach erweiterte Werner Lensing seine politischen Aktivitäten über die Stadtgrenzen hinaus. Seit 1973 als CDU-Kreisvorsitzender noch im Altkreis Coesfeld hat er die Kreisgebietsreform, die 1975 ihren Abschluss fand und die Altkreise Coesfeld und Lüdinghausen unter der Kreisstadt Coesfeld zusammenfasste, eng begleitet, später auch als erster Kreisvorsitzender des neuorganisierten CDU-Kreisverbandes  und als Kreistagsmitglied von 1979 bis zu seinem Eintritt in den Deutschen Bundestag im Jahr 1994. Stets ging es ihm um das Zusammenwachsen der beiden damals so unterschiedlichen Kreisgebiete, auch als Mitglied der Landschaftsversammlung Westfalen-Lippe von 1990 bis 1994.

Absoluter Höhepunkt der politischen Laufbahn war für Werner Lensing als dreimal direkt gewählter Vertreter des Wahlkreises Coesfeld-Steinfurt II sicher die Zeit im Deutschen Bundestag, dem er von 1994 bis zum Jahre 2005 angehörte, in dem das Parlament dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder das Vertrauen entzog und es im Oktober 2005 zu Neuwahlen kam. Werner Lensing, dem die deutsche Einheit geradezu eine Herzensangelegenheit war, widmete sich mit Feuereifer deren politischen Umsetzung. Als im November 1989 die Berliner Mauer fiel, ließ er alles stehen und liegen, packte Teile seiner Familie ins Auto und fuhr direkt nach Berlin, um die freudige Stimmung der wiedervereinten Menschen hautnah mitzuerleben – ganz typisch für Werner Lensing, der ein Gespür für geschichtsträchtige Umwälzungen hatte und dem keine Anstrengung zu groß war, diese persönlich mitzuerleben. Den mit der Wiedervereinigung verbundenen, im Jahre 1991 beschlossenen und 1999 vollzogenen Umzug des Parlaments von Bonn nach Berlin, damals wegen hoher Kosten sehr umstritten, hat Werner Lensing stets befürwortet; er war der festen Überzeugung, dass im Gegensatz zum provinziellen Bonn nur Berlin als künftige Hauptstadt Deutschlands in Frage komme und dass in wenigen Jahren niemand mehr über die enormen Umzugskosten reden würde - eine weitsichtige Einstellung, wie sich heute zeigt: wer würde heute noch die Richtigkeit der damaligen Entscheidung in Frage stellen! 

Hauptarbeitsgebiete von Werner Lensing während seiner Zeit im Deutschen Bundestag waren vor allem die beiden großen Themenfelder Ethik der Medizin und Berufliche Bildung. Als Mitglied im Ausschuss für Bildung, Wissenschaft, Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung sowie später in der Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin war Werner Lensing stets ein Kämpfer für die Rechte und den Schutz des menschlichen Embryos von Anfang an, also vom Zeitpunkt der Verschmelzung von menschlicher Samen- und Eizelle. Auch in ethischen Fragen der Präimplantationsdiagnostik vertrat Werner Lensing als überzeugter Christ die absolute Schutzwürdigkeit des menschlichen Embryos als Geschöpf Gottes. Schon frühzeitig hat er vor den Gefahren eines „slippery slopes“, also eines bröckelnden ethischen Schutzwalls und die allmähliche gesellschaftliche Gewöhnung an sinkende moralische Standards, vorausgesehen, die sich aktuell im politischen Diskurs um aktive Sterbehilfe leider deutlich bewahrheiten sollten. Zweites großes Schwerpunktthema, für das sich Werner Lensing vehement eingesetzt hat, war die gesellschaftliche Gleichstellung von dualer und akademischer Bildung. Seine politische Arbeit mündete hier schließlich in die Einführung des sog. Meister-Bafögs, das Werner Lensing während der Beratungsphase als Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Parlament und bei den Interessensverbänden im ständigen Austausch mit DIHT und HWKs maßgeblich vertreten hat. Die vor allem angehenden Meisterinnen und Meistern zugutekommende Ausbildungsunterstützung  wurde schließlich zum 1. Januar 1996 eingeführt.

Nach dem vorzeitigen Ende des 15. Deutschen Bundestags im Oktober 2005 kehrte Werner Lensing nach Coesfeld zurück. Mittlerweile Kreis-Ehrenvorsitzender der CDU, begleitete und bereicherte er das politische und ehrenamtliche Geschehen auf Stadt- und Bezirksebene in vielfältiger Weise. Werner Lensing galt als politisch überaus erfahren, im Handeln besonnen, unaufgeregt, doch im entscheidenden Moment energisch und durchsetzungsstark. Seine politischen Zeitgenossen auf Bundes- und kommunaler Ebene, ja auch seine politischen Gegner schätzten ihn als gradlinig, verlässlich, großherzig, liberal, aber auch grundsatztreu und konsequent. Für viele seiner Mitstreiter  war er ein väterlicher Freund und geschätzter Ratgeber. Doch war es Werner Lensing zunehmend unmöglich, am öffentlichen Leben seiner Stadt teilzunehmen – eine fürchterliche Geißel für einen „homo politicus“ durch und durch, der die Öffentlichkeit so liebte, der geradezu aufblühte in der öffentlichen politischen Auseinandersetzung und der doch schließlich gezwungen war, sich ganz aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen.

 Die Stadt Coesfeld verliert mit ihm eine hochgeachtete Persönlichkeit; ein würdiger Platz in der Coesfelder Geschichte ist ihm sicher.

 

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